Wir ertragen nur schwer die Analysen von Soziologen, wenn sie unsere Verhaltensweisen in der Perspektive von Regeln oder von Ritualen beschreiben. Gleichwohl erheben wir in der Regel keine Einwände, wenn Ethnologen in dieser Weise über sogenannte primitive Völker sprechen. Warum sind wir dann, wenn es sich um andere handelt, spontan objektivistisch? Und warum nehmen wir für uns selbst und uns allein das Privileg von Freiheit und von Subjektivität in Anspruch? Ein wirkliches Verständnis von Praxis stellt eine doppelte Aufgabe, die sowohl über den Objektivismus (wie z. B. bei Lévi-Strauss) als auch über den Subjektivismus (wie z. B. bei Sartre) hinausführt: es geht darum, sowohl die objektiven Strukturen (z. B. die statistischen Regelmäßigkeiten von Praktiken) als auch die inkorporierten Strukturen (z. B. die sozialen Kategorien der Wahrnehmung) zu objektivieren - was eine auf der Anwendung von Techniken der Objektivierung begründete Distanz voraussetzt. Gleichzeitig geht es aber auch darum, die Objektivierung selbst zu objektivieren: nämlich die Operationen, die den Zugang zu dieser »objektiven Wahrheit« ermöglichen, wie auch den Gesichtspunkt, unter dem sie operieren - um die Distanz zu überwinden, die der Objektivierung innewohnt.
Auf diese Weise zu entdecken, daß es eine Objektivität des Subjektiven gibt, daß der Forscher mit seinen Instrumenten der Objektivierung die Vorstellungen, die sich die Akteure selbst über ihre Praxis machen, zerstören muß, um die objektiven Strukturen erfassen zu können, ist selbst noch ein Moment der Objektivität: die kollektiven Illusionen sind nicht illusorisch.