Das Mädchen und wie es die Welt sah
Das Mädchen ist zurück:
In zehn Geschichten entfaltet Angelika Klüssendorf ein Kinderleben in der DDR in den 60ern und 70ern, geprägt von Ungeborgenheit und Sehnsucht. Nach dem Tod der geliebten Großmutter muss das Mädchen Übergriffen und Teilnahmslosigkeit begegnen. Es ringt darum, seine Eltern auszuhalten und zu verstehen und die Schwester zu beschützen. Lichtblicke liefern Bücher, das Lesen bietet selbst im Kinderheim noch einen Ausweg.
Die Kaschnitz-Preisträgerin erzählt die Vorgeschichten zum Erfolgsroman »Das Mädchen« neu, die vor zwanzig Jahren erschienen und nicht mehr lieferbar sind. Und sie überprüft schonungslos, was nicht erzählt wurde und warum. Ist Wahrhaftigkeit im Erzählen von sich möglich?
Autofiktion, radikal und bewegend!
»Wenn ein Buch die Axt für das gefrorene Meer in uns sein muss, wie Kafka sagt, dann ist für mich eines davon "Risse" von Angelika Klüssendorf. Warum? Weil sie ihren Figuren und uns eine Suche nach dem Abgrund in sich selbst zumutet - eine Suche, die schmerzt und Mitgefühl ermöglicht. Ich bewundere sie dafür.«
Corinna Harfouch
Eines der wenigen Fotos, die es von mir gibt, habe ich selbst in einem Fotoatelier aufnehmen lassen. Es war kurz nach meiner Ankunft auf Usedom bei meinem Vater gewesen. Ich hatte mir das erste Mal meine Haare bei einem Friseur schneiden lassen, ich trug ein gestreiftes Kleid mit einem dunklen Kragen, ein Geschenk meiner Stiefmutter. Ich erinnere mich, wie ich dastand, ein Bein vor das andere geschoben, und ein Lächeln, von dem ich annahm, es gehöre auf ein Foto.
Wenn ich das Bild heute betrachte, sehe ich Freude und Erwartung des Sommers in meinem Gesicht. Es ist ein Beweisfoto, dass es mich gibt und mir ein schönes Kleid zusteht, obwohl ich ebenso die Vorahnung erkenne: Diesem scheinbar verlässlichen Augenblick nicht zu trauen, doch da ist auch der Wille, Wünsche und Begehren einzufordern, und die Frage: Wie könnte es aussehen, ein mir gemäßes Leben?
»Klüssendorf vermeidet mit großer Geschicklichkeit, das Mädchen zum sozialwissenschaftlichen Objekt verkommen zu lassen oder es in Mitleidstränen zu ertränken - ein Kunststück, das an Charlotte Brontës Klassiker »Jane Eyre« erinnert.« Ruth Klüger
»Wir haben es mit einem der berührendsten Texte der Gegenwart zu tun. Das Erzählen schimmert darin als Krisenbewältigungsstrategie auf und trägt dazu bei, dass das Unfassbare begreifbar wird. Wo ansonsten beklemmendes Schweigen zurückbliebe, triumphiert - die Sprache.«