Eine junge Frau und ein junger Mann - beide schön anzuschauen - begegnen sich im Zug nach Paris, wo sie sich vorerst in der Gare de l'Est trennen müssen. So beginnen üblicherweise Liebesgeschichten. Auch im Roman Strohgold von Stefan Frey steht die Geschichte zweier Verliebter am Anfang und am Ende. Sie beginnt im Februar 1855, vor der ersten Weltausstellung in Paris, und findet ihr - vorläufiges - Ende nach der Internierung der Bourbaki-Armee (Februar 1871) in der Schweiz.
Die junge Frau ist die älteste Tochter einer Bauern- und Heimarbeiterfamilie, die sich im aargauischen Freiamt mehr schlecht als recht mit Strohflechten über Wasser hält. Sie startet als Au-Pair-Mädchen und setzt sich bis zur Spitze des Stroh-Unternehmens durch. Der junge Mann ist Offiziersanwärter an der Militärakademie St. Cyr und wird später Brigadier der Kaisergarde. Beide treffen im Herzen des zweiten französischen Kaiserreichs ein - dem Second Empire - wo Baron Haussmann gerade jene Stadt aus dem Boden stampft, die heute von aller Welt geliebt wird.
Die Verliebten - und schließlich Verlobten - durchlaufen eine Epoche unglaublichen persönlichen, politischen und wirtschaftlichen Aufstiegs. Geprägt von Figuren, die ihre Länder 'wieder groß' machen wollten - und sie in den Abgrund stürzten. Dabei erweist sich der scheinbar fragile Rohstoff der Heimarbeiter - Stroh - als bemerkenswert resistent. Er ist nicht nur biegsam und lässt sich zu unvorstellbaren, bis heute existierenden Kunstwerken verarbeiten, er ist auch wirtschaftlich von herausragender dauerhafter Bedeutung. Vor allem im Freiamt, das bis in die Mitte des 20. Jahrhhunderts diesbezüglich der globale Maßstab war. Hier errichten während und nach dem Second Empire die Strohbarone ihre Reiche. In ihren Bauernkaten sind derweil die Stroh flechtenden Frauen, Männer und Kinder glücklich, wenn sie nicht noch ärmer werden und schließlich als Arbeiter in der Fabrik ihr Brot verdienen dürfen.
Das Erstaunliche am Roman Strohgold sind nicht die schrecklichen historischen Ereignisse, die das Paar mitreißen. Nicht einmal die Zwangsläufigkeit irritiert, mit der sich von Politikern verursachte Katastrophen wiederholen. Das wirklich Beängstigende ist der Unwille, aus der Geschichte zu lernen. Damals und heute.